Bitterböse Diagnosen

Vorpremiere: Kabarettist Arnulf Rating präsentiert sein neues Programm im Lutterbeker

Arnulf Ratings Bühnenprogramme sind anders. Kein Besserwisser-Kabarett für „Sozialdemokraten im Rollkragenpullover, für die Politik das ist, was auf den ersten zwanzig Seiten im „Spiegel“ abgehandelt wird“. Sondern fulminant-wortgewaltige, deftig-kritische Rundumschläge in alle Richtungen. Im Lutterbeker präsentiert Rating jetzt sein neuestes Solo „Schwester Hedwigs allerschwerste Fälle“.

Genau 30 Jahre ist es her, dass sich das legendäre Berliner Anarcho-Spaßguerilla-Theater „Die 3 Tornados“, zu dem auch Arnulf Rating gehörte, gründete. Ein Trio, das auch schon mal in Küchen besetzter Häusern spielte und dessen Weg von Auftrittsverboten wegen irgendwelcher Unbotmäßigkeiten nur so gepflastert war. Man trat an, um die Leute „oben mit erweitertem Bewusstsein und unten mit nasser Hose“ aus den Vorstellungen zu entlassen.

„Das alte Kabarett, bei dem bloß vorzugsweise irgendwelche Politiker nachgemacht wurden, war für uns einfach nur lächerlich“, erzählt Rating rückblickend, „da haben wir versucht mit einer anderen Form von Lächerlichkeit von vornherein einen Standpunkt zu gewinnen, der so daneben ist, dass man erstmal wieder einen klaren Kopf kriegt.“

Eine Haltung, die man seit dem Ende der Tornados 1989 auch in Ratings zahlreichen Soloprogrammen beobachten kann, gepaart mit bitterbösen, brillanten Analysen der Verhältnisse. Die Motivation dazu ist dem mit allen einschlägigen Kabarettpreisen Ausgezeichneten auch nach drei Bühnen-Jahrzehnten nicht abhanden gekommen: „Das ist so eine Art Selbsttherapie. Ich bin immer wieder selbst erstaunt darüber, dass die Dinge so sind wie sind. Das dann aufzugreifen, ist für mich geradezu lebensnotwendig. Außerdem bin ich froh, dass ich mit meinem Job ein bisschen neben der Gesellschaft stehen darf, etwas daneben sein darf, und davon leben kann, dass ich rückstandsfrei in den Gehirnen der Leute Produkte hinterlasse, die nicht in vier verschiedene Tonnen geschmissen werden müssen.“

Diesmal ganz im Zentrum der Ereignisse: Ratings Bühnenfigur „Schwester Hedwig“ – eine Frau, die sich an keinerlei Schweigepflicht gebunden fühlt und gerne unorthodoxe Rezepte, abseits jeder Schulmedizin, parat hält für den Patienten Deutschland. Herrschen denn momentan eher gute oder schlechte Zeiten für Kabarettisten. Oder es gibt sowieso nur gute oder schlechte Kabarettisten? „Wahrscheinlich letzteres“, lacht Rating, „aber tatsächlich passiert so viel, etwa die immer neue abenteuerlichen Varianten der Bangemacherei des Innenministers, um seine Gesetze durchzubringen, dass man das einfach auf die Bühne bringen muss“. So wurde aus dem eigentlich geplanten Rückblick ein hochaktuelles Programm. Dass Schwester Hedwig ob ihres eigenwilligen Outfits mit seichtem Comedy-Klamauk verwechselt werden könnte, befürchtet Rating dabei keineswegs: „Das ist natürlich der Comedy geschuldet, dass es jetzt wieder so eine Tendenz zu seriösem Kabarett gibt, was politische Aussagen ganz klar macht, so dass sie auch ein „Zeit“-Leser goutieren kann – am besten noch begleitet von klassischer Musik. Da fällt Schwester Hedwig natürlich raus.“ Eine Tatsache, mit der Rating aber – ganz nach alter Tornado-Art – gut leben kann: „Man muss einfach mal auf eine andere Diskussionsebene kommen, und so ein paar Kurzschlüsse erleichtern das enorm.“

Beate Jänicke

© Kieler Nachrichten, September 2007