Arnulf Rating – ohne Respekt vor nichts und niemandem

Kabarettist gastierte mit »Reich ins Heim«-Programm in der Kulturscheune am Landhotel »Waldhaus«

Laubach (mt). – Kabarett ist noch immer dann am schönsten, wenn einer wie Arnulf Rating auf Besuch kommt und von seiner Kanzel voll multipler Persönlichkeiten aus erzählt, was mit dem Land eigentlich los ist. Da kann man wenigstens mal die Lachmuskeln spielen lassen, gerade bei Ratings ungezügeltem Chauvinismus gegenüber dem Ort seines Gastspiels.

»Reich ins Heim« lautet der Titel von Ratings aktuellem Bühnenprogramm, das an Schärfe nichts zu wünschen übrig lässt. In der Kulturscheune am Landhotel »Waldhaus« empfahl Rating am vergangenen Mittwoch, gleich mal ganz Laubach zu fluten, um die Finanzströme bundesweiter Spendenoffensiven endlich mal in Mittelhessen ankommen zu lassen oder um dem Vergreisungsprozess gerade in Laubach ein Heim für emanzipierte Senioren entgegenzusetzen.

»Ich bin da bis zum letzten Moment ganz für die freie Wahl der Pflegestufe«, fegte er über die angstbetonte Schizophrenie der Gesellschaft hinweg. Rating ist dem ganzen Spektakel jedoch auch in der Laubacher Kulturscheune stets einen Schritt voraus. Auf Einladung der Kleinkunstbühne »Fresche Keller« in Zusammenarbeit mit Rühls »Blauem Löwen« ließ er seiner gnadenlos frechen Zunge freien Lauf. Wenn sein Publikum in der bis an den Rand gefüllten »Scheuer« noch dezent am Weinglas nippte oder die ein oder andere Leckerei vom Teller klaubte, ging es bei Ratings Schnellschussrhetorik schon wieder weiter.

Und mancher kam da aus der Zwerchfellgymnastik kaum mehr heraus. Respektlos war Rating ja schon immer. Aber jetzt, auf der Suche nach den Möglichkeiten, wie man in diesem Land am besten alt werden kann, macht er noch nicht mal vor sich selbst Halt. Als ambitionierte Pflegeschwester im Rot-Kreuz-Look komme er gern mit jeder Ersten Hilfe zu spät. Gleich gab er sich auch in Laubach vorzüglich seiner bekannten Dreier-Talkrunde hin und schlüpfte zusätzlich in so manch weitere Rolle, um schräge Stereotype aus Wirtschaft und Politik vor Augen zu führen, die für die Misere zwischen ewigem Auf- und Abschwung verantwortlich seien.

»Cabaret Consulting« nennt sich das dann, wenn Rating über Marketing-Zirkus und Nordic-Walking-Terror plaudert. Eine kleine Unternehmensberater-Persiflage namens Robert Berger gelang ebenso glänzend wie eben das »wirtschaftspolitische Dreigestirn aus reaktionärem Bauer, dumpfem liberalen und durchgeknalltem Mitglied der hyperaktiven Shareholder-Fraktion«.

Alle scheinbar in Sorge um den Zustand der Deutschland-AG. Doch wohin es wirklich gehen soll, wusste keiner. Das wollte Rating dann auch dem überaus zufriedenen Publikum nicht abverlangen. Dafür ging mancher sicher um einige Erkenntnisse reicher nach Haus oder blieb nach dem lang anhaltenden Schlussapplaus für den gestandenen Kabarettisten einfach noch auf ein Gläschen und eine der vielen kleinen Spezialitäten des Hauses sitzen.

Rüdiger Oberschür

© Hessische Zeitung, 21.12.2006