Pointierte Politikerschelte

Berliner Kabarettist Arnulf Rating nahm im Kasch das Weltgeschehen aufs Korn

ACHIM. Das geht nicht mehr lange gut, dann wird es eng für die Stadt Achim. Alles fluten oder in ein Altersheim verwandeln, das sei hier die Frage. Immerhin wollen 94,4 Prozent der Achimer, dass ihre Stadt erhalten bleibt. „Das ist zwar sehr erfreulich“, sagt Arnulf Rating. Aber 68,6 Prozent der Deutschen sei Achim total egal.

Um existenzielle Fragen dreht sich „Reich ins Heim“, das aktuelle Programm des Kabarettisten Arnulf Rating, der am Freitag im Kasch gastierte. Nein, mit Kleinigkeiten gibt er sich nicht ab. Es geht um die Zukunft, um den Papst, um Angela Merkel und Gammelfleisch. Und um die offene Achim-Frage. „42 Prozent der Deutschen halten Achim für ein Regalsystem von Ikea. Und die wollen noch nicht mal Geld dafür ausgeben.“

Schlechte Karten also, aber der groß gewachsene Mann im grauen Nadelstreif hat sowieso fast nur Hiobsbotschaften zu verkünden. Hunderttausende Dönerspieße sieht er auf uns gerichtet, die dazu gehörigen „Dönerspießgesellen“ vermutet er im Dienste Osama bin Ladens und des Islamischen Terrors. Von dort kommt er in Windeseile zu Beamten, die in den Behörden herumgammeln – „Gammelfleisch also auch hier“ – und zur Politik. Etwa zu Verteidigungsminister Volker Jung, dem „Küchenjungen von Roland Koch“, der trotz der hessischen Schwarzgeldaffäre wieder in Amt und Würden gekommen ist. Zu Peer Steinbrück, der seine 8200 Euro Rente schon sicher hat. „Das könnten Sie auch haben, wenn Sie 1820 mit dem Einzahlen begonnen hätten“, ätzt Rating. Und: Politiker sind Ladenhüter, die ihr Haltbarkeitsdatum überschritten haben und irgendwann umetikettiert werden.

Aus aktueller Politikerschelte und dem ins Absurde übersteigerte Zukunftsszenario, das sich je nach Auftrittsort abwandeln lässt – ja, auch Berlin lässt sich fluten oder in ein Altersheim verwandeln – besteht des Kabarettisten neues Programm. Was nicht stört, denn beide Teile sind bis auf wenige Längen höchst unterhaltsam. Wenn Rating mit weißem Kittel und blonder Zopfperücke als Schwester Hedwig auftritt, die von ihrer Arbeit hinter den Kulissen von „Sabine Christiansen“ erzählt, wird zur Gewissheit, was alle längst vermutet haben: Die Politiker sind alle gedopt, so dass Schwester Hedwig Urintests im Bundestag fordern muss.

Mehr als zwei Stunden steht Arnulf Rating auf der Bühne. Im Eiltempo stürmt er durch sein Programm. Schlag auf Schlag geht das, wer einen Moment abschaltet, hat schon zwei Pointen verpasst. Bissig nimmt er die Mächtigen und Prominenten aufs Korn. Peter Hahne, die „Betschwester vom ZDF“, ebenso wie Günter Grass. „Der war ja so raffiniert, mit 17 in die SS einzutreten, damit er mit 70 einen Aufhänger für sein Buch hat.“ Joschka Fischer geht demnächst ins Krankenhaus, um bei der Geburt seiner nächsten Frau dabei zu sein. Die große Masse dagegen zahlt Steuern, wird regiert und entlassen. Grund genug, nach allen Seiten auszuteilen.

Und was wird jetzt? Am Ende hat Rating ein Einsehen und Achim ein Zukunft. Als Pflegestandort mit einem Gewerbepark für Schnabeltassen- und Gehhilfenproduktion. „Lasst und in Achim unsterblich werden“, ruft er und verbeugt sich. Hallelujah.

Andreas Becker

© Achimer Kurier, 13.11.2006