Knapp daneben – aber immer präzise

Vertreter für Meinungen aller Art / Arnulf Rating beim Kabarett-Festival im BÜZ

Von Robert Werther

Minden (wer). Mitten in der linken »Gründerzeit« – 1976 – entstand das wohl bekannteste und erfolgreichste Szenekabarett »Die 3 Tornados«.

Gründungsmitglied Arnulf Rating gab am Samstag Abend ein mehr als eindrucksvolles Gastspiel im BÜZ. Der gelernte Theaterwissenschaftler hat sich zu einem souveränen Profi entwickelt, der locker und fast wie nebenbei über zweieinhalb Stunden lang sein Publikum zu fesseln vermag. Dazu braucht er keine Nummern, nur eine kleine Rahmenhandlung als Vertreter für Meinungen aller Art. Mit seinem Publikum, ungefähr in seiner eigenen Altersstufe angesiedelt, ist er sich schnell einig.

Da darf er ruhig die seit dem 11. September ausgebrochene Kreuzzugmentalität aufs Korn nehmen. Darf die pharisäerhaft selbstgerechte Apologie der selbst ernannten Kriegsherren geißeln und sich hemmungslos über den anbiederische und populistische Strategien lustig machen. Das darf er umso mehr, als sich unbedingte Bündnistreue als unannehmbare conditio für engagierte Humanisten erweist. Brot und Bomben – bizarrer und menschenverachtender hat man wohl noch nie einen Krieg erlebt. Und dass die Raucher mit ihrer Tabaksteuer sich als wahre Feinde des Terrors weltweit erweisen – wer hätte das vor dem 11. September zu denken gewagt. Kein Zweifel, so Rating, es wird der Tabak- wie der Sektsteuer ergehen. Einmal eingeführt, wird sie bis an das Ende unserer Tage bestehen bleiben.

68er Gedächtnisparty

Wie gut, dass der Kabarettist seine Auftritte inszenieren lässt. Dramaturgische Zäsuren setzt er gekonnt und wirkungsvoll, kleine Verwandlungen auf offener Bühne geschehen geschickt und mit sparsam effektvollen Requisiten. So werden wir Zeugen einer 68er-Gedächtnisparty mit einem irgendwie vertrauten Arsenal von Personen – dem erfolglosen Soziologen, dem zynischen Werbefritzen und der affektierten Grünen-Abgeordneten, die außer ihrem Mandat sämtliche Vorstellungen von einer besseren Welt abgegeben hat. Die normative Kraft des Faktischen ereilt uns also alle. Die Spaßgesellschaft hat uns alle in ihrem mörderischen Griff. Leben nach Katalog – alles ist wünschbar, alle Wünsche sind erfüllbar. Alles nur eine Frage des Preises.

Arnulf Rating lässt sich selber in seinem kunstvollen Stakkato nicht aus. Er gehört zu dieser Gesellschaft. Doch auf seine An- und Einsichten würde man nur ungern verzichten.

© Mindener Tageblatt, 14.11.2001