Die Abfahrer

Der Berliner Kabarettist Arnulf Rating steigt mit seinem neuen Programm im Theater der Wühlmäuse in den »Berlin Express«

Von Uwe Sauerwein

Hinterher will es immer keiner gewesen sein. »Wer war das? Wer von ihnen hat Rot-Grün gewählt?«, fragt Arnulf Rating ins Publikum – und wartet vergeblich auf Antwort. Denn was unterscheidet den Politiker von einem Telefonhörer? Den Hörer kann man aufhängen, wenn man sich verwählt hat.

Es geht ziemlich drunter und drüber in unserer Republik, was nicht, so Kabarettist Rating, an der Affäre um »Helmut Kohle«, sondern vor allem an den Regierenden liegt. Weil nämlich die Kisten noch nicht ausgepackt sind. Denn endlich ist er vollzogen, der Umzug von Bonn (»halb so groß wie der Zentralfriedhof von Chicago, aber doppelt so tot«) ins metropolitane Berlin. Ein Lieblingsthema von Arnulf Rating, der bereits in seinem vorherigen Programm »Out of Bonn« einen Sachbearbeiter in Umzugsfragen verkörperte – offensichtlich so realitätsnah, dass sich ein Bonner Bürokrat auf den Schlips getreten fühlte und den Polit-Komiker vor den Kadi zerren wollte. Wir wissen nicht, ob der beleidigte Beamte mittlerweile ebenfalls umgezogen ist; Rating jedenfalls hat seinen vierten Soloabend mit »Berlin Express« übertitelt – und sich in selbigen begeben, als Lokführer, Passagier und Personal zugleich. Jetzt macht der satirische Zug erstmals bei den Wühlmäusen Station.

Ein ICE, der in der Zone nicht hält – deswegen können auch Farbige mitfahren: Ratings Reise, wie sollte es anders sein, ist nicht frei von Entgleisungen. Vor allem wenn es um die einstigen Weggefährten geht. Mit seinem Trio Die 3 Tornados gehörte Rating in den Achtzigern zu den kabarettistischen Aushängeschildern der alternativen Bewegung in unserer Stadt. Und wenn er heute auf die Weltverbesserer von damals zu sprechen kommt, kann der Mann mit dem breiten Scheitel ganz schön garstig werden. In Serbien, so hört man, habe der grüne Außenminister seine Vorstellungen von Verkehrsberuhigung konsequent in die Tat umgesetzt: Dank Nato-Bomben findet man auf den dortigen Straßen jetzt lauter Stolperschwellen. Dass solch schwarzer Humor immer wieder von Kalauern unterbrochen wird, macht den Abend ohne Magenschmerzen goutierbar.

Auch wenn Rating bei der Darstellung verschiedenster Zeitgenossen viel Mut zur Hässlichkeit aufbringt: ein Verwandlungskünstler ist er sicher nicht. So gerät der »Berlin Express« am meisten in Fahrt, wenn Rating sich persönlich zu Wort meldet. Zum Beispiel mit seiner Marketing-Strategie für das demokratische System. Verglichen mit dem Otto-Katalog sieht der Wahlzettel ziemlich blass aus. Das kann man ändern: Künftig wird nur noch gewählt, wenn man weiß, was es kostet. Und natürlich mit vollem Rückgaberecht bei Nichtgefallen. Ratings Zuschauer indessen machen von diesem Recht keinen Gebrauch. Sie sind begeistert.

© Berliner Morgenpost, 23.12.1999