Der Zug der Zeit als Geisterbahn

Arnulf Rating ist unterwegs im »Berlin Express«

Arnulf Rating fährt erster Klasse. Auch die anderen Passagiere in Wagen 11 des »Berlin Express« reisen komfortabel, sie können es sich leisten.Obwohl sich der wehleidige grüne Landtagsabgeordnete, der rücksichtslos-selbstzufriedene Flaschenfabrikant und der gallig-unverbesserliche Wehrmachtsveteran gerade auf dem Weg in die Berliner Republik befinden (von deren politisch-geographischer Lage sie partiell abweichende Vorstellungen haben), sind sie doch zumindest an einem Ziel längst angekommen: in behaglichem Wohlstand, der es ihnen erlaubt, über allerlei Dinge zu schwadronieren, die über die Sicherung des Existenzminimums mehr oder weniger weit hi nausgehen. Der Plebs Fußballfans mit Schals des BFC Dynamo und ausgelassene Kegelbrüder fährt zweiter Klasse und randaliert vorläufig noch in sicherer Entfernung.

Die Lektion »Dem gemeinen Volk aufs Maul geschaut« kriegen wir vielleicht ein andermal. Im »Berlin Express«, Ratings neuem Soloprogramm bleiben die besseren Kreise unter sich. Allenfalls der maulende Ex-Volksarmist, der seinen neuen Brotherrn Bundeswehr nicht zackig genug findet und privat entschlossen ist, den Krieg der Ostdeutschen um die FKK-Strände auf dem Darß und auf Usedom zu gewinnen, mag auf die anderen Reisenden deplatziert wirken. Und die Mitropa-Kellnerin, die das Gehabe ihrer Gäste erfrischend kommentiert, ist sowieso nicht ihresgleichen.

Arnulf Rating macht politisches Kabarett erster Klasse. Der einfache Kunstgriff, bemerkenswerte Exemplare der menschlichen Gattung in einem Zugabteil zusammenzusperren, ist nicht neu, aber an Effizienz kaum zu übertreffen. Jedenfalls, wenn man ihn so elegant beherrscht wie Rating. Er spielt alle seine Gestalten, einschließlich sich selbst als mitreisenden Politikus, mit schonungsloser Bissigkeit und glaubwürdiger Übertreibung. Behände springt er von der Schießbuden- zur Geisterbahnfigur und von Thema zu Thema, vom stets aktuellen Kreuzberger Motto »Legal, illegal, scheißegal« zum Wähler als ewigem Wahlverlierer, von schwarzen CDU-Konten zu päpstlicher Scheinheiligkeit, von Diepgens Mahnmalsabneigung zur Sicherheitsmauer rings ums neue Kanzleramt, von deutschen Offizieren von gestern und heute zur politischen Feng-Shui-Beratung sowie zur gentechnischen Vervollkommnung des Menschen zu seinem demokratischen Ideal: Man wählt und bes tellt wie beim Otto-Versand, aus einem wirklich abwechslungsreichen Angebot, mit genauer Angabe der Kosten, mit Garantie- und Rückgaberecht.

Rating steht kein anderes Material als anderen politischen Kabarettisten zur Verfügung, er arbeitet damit aber witziger, beweglicher, origineller als mancher seiner Kollegen, er erfindet Bilder und Pointen, die das Publikum tatsächlich noch überrumpeln. Dass nicht jeder sarkastische Verriss einen aktuellen Gegenstand zum Thema hat, sei ihm verziehen. Am Geschmack, den unter Umständen nun auch Grüne am Kriegführen finden, wird er wohl noch eine Weile zu kauen haben.

Constanze Treuber

© Berliner Zeitung, 3.2.2000