Der erste Sieg

Gutes altes Politkabarett:
Arnulf Rating im Neuen Theater

Von Stefan Michalzik

Armes Berlin. Arme (West-)Berliner. Die verloren gegangene Seligkeit der politisch bedingten Insellage wünschte sich manch einer zurück, nachdem vor einem Jahrzehnt die »Ossis» die Mauer gen KaDeWe durchbrochen hatten. Nun fallen auch noch die Parlamentarier und die Regierungsbeamten aus Bonn – und mit ihnen die Betriebsamkeit – in die einstige Idylle ein, in das soziale Biotop, in dem es sich gut leben ließ.

Arnulf Rating weiß, wovon er spricht: seit 25 Jahren lebt der Kabarettist an der Spree. Gemeinsam mit zwei Kollegen hatter er dort Mitte der siebziger Jahre die legendären Drei Tornados gegründet, eines jener »Szenekabaretts», die mit ihrer rotzigen Frechheit einen frischen Wind über die auf dem Stand der fünfziger Jahre verharrende bundesdeutsche Kabarett-Landschaft gebracht hatten.

Die Szenegänger von einst stellen das politische Establishment von heute. Gewichen sind die »Weg mit . . .»-Parolen, das Interesse hat sich zur Existenzsicherung und Alterversorgung hin verlagert. Zu den Gestalten in Ratings viertem Soloprogramm Berlin Express, mit dem er nun im Neuen Theater Höchst gastiert, gehört ein Grüner. Bittere Nöte plagen den Mandatsträger auf dem Weg zur Parteisitzung in der neuen Bundeshauptstadt. Wird die Basis gegen den realpolitischen Kurs meutern? Lässt sich die Zerstörung von Brücken im serbischen Kriegsgebiet als verkehrspolitische Maßnahme im Sinne des Umweltschutzes verkaufen? Die Bundeswehr als Greenpeace in oliv? Und schließlich: was wird die Mutter sagen, wenn der 43 Lenze zählende Junge die Wahlperiode nicht überstehen sollte?

Vor dem Hintergrund einer Zugfahrt im Ersten-Klasse-Abteil von Bonn nach Berlin projiziert Rating eine kabarettistische Momentaufnahme von den Anfängen der bereits jetzt so genannten »Berliner Republik». Die gibt kein gutes Bild ab. Die Parteispenden-Affäre der CDU im Rückspiegel mag gegenwärtig manches überdecken. Das fängt, so Rating, damit an, dass man die »Neue Mitte» gewählt und rechts davon eine neue Regierung bekommen hat. Man hätte sich kaum träumen lassen, dass ausgerechnet Rot/Grün den Deutschen den ersten militärischen Sieg nach 128 Jahren bescheren würden.

Gutes altes Politkabarett. Lachnummern für jene unter den Politikverdrossenen, die das Interesse an der Sache noch nicht verloren haben, sich vom Gang an die Wahlurne indes nicht mehr viel versprechen. Nie zuvor hat man Rating als Solisten derart locker und befreit erlebt: Nur ganz wenige der Pointen des unter der Regie von Ulrich Waller an den Hamburger Kammerspielen entstandenen Abends bleiben flach oder wirken ranzig. Das Gros ist sehr lustig und treffsicher positioniert. Auch aus einem an sich banalen Einfall wie dem Vergleich des Angebots eines Wahlzettels mit dem eines Versandhaus-Katalogs – in dem Auswahl und Qualität deutlich ansprechender ausfallen und zudem ein Rückgaberecht verbrieft ist – schlägt Rating ein beachtliches satirisches Kapital und findet immer mehr Pointen. Virtuos.

Mit seinem lässigen, auch intellektuellen Ansprüchen durchaus stand haltenden Humor hat sich Arnulf Rating, der auf parodistische Imitationen bestimmter Politiker zugunsten eines Panoptikums von Kunstfiguren verzichtet, zu einem der ersten seines Fachs in der Bundesrepublik entwickelt.

© Frankfurter Rundschau, 28.1.2000