Großkopferte messerscharf seziert

Sendenhorst — Magdeburg, München, Berlin — und natürlich auch Sendenhorst. Arnulf Rating hatte am Donnerstag trotz leichter Schwierigkeiten mit der Deutschen Bahn und den zu säuselnden Reden seines Taxifahrers den Weg zum Haus Siekmann pünktlich gefunden. Als Kontrastprogramm zum ausgelassenen Treiben während der fünften Jahreszeit war sein Programm „Aufwärts!“ genau richtig.

Bei seinen rasanten Streifzügen in die Niederungen deutscher Politik war Mitdenken eine Grundvoraussetzung. Aber dafür waren ja die vielen Kabarett-Fans gekommen. Sie wollten sich nicht anderswo berieseln lassen. Wie es allerdings die Mitglieder des Fördervereins geschafft haben, diesen bekannten Kabarettisten zu verpflichten, wird wohl immer ein Rätsel bleiben, mit „normalen“ Mitteln ist dies sicherlich nur schwer möglich gewesen.

Dieser auch durch sein „Neues aus der Anstalt“ bekannte Mann gehört zur ersten Garde. Stets brandaktuell, brauchte er keinen Doktortitel, um mit dem messerscharfen Seziermesser tiefe Wunden in das Selbstverständnis der politisch Großkopferten zu schlagen. Er legte genüsslich den Finger ganz tief in die mit seinem sprachlichen Salz vorbereiteten Wunden, hatte bei jedem seiner Opfer das passende Fettnäpfchen entdeckt.

Bitterböses Kabarett war es nicht, was Arnulf Rating seinen begeisterten Zuhörern präsentierte, eher ein schonungsloser Blick auf die Realität. Die ist nach ihm schon erschreckend genug, in der Krise werden schließlich die größten Vermögen gemacht. Als „Abrechner mit den Lobbyisten und Stimmungsmachern der Bertelsmann-Stiftung“ agierte er mit sprachlicher Virtuosität, mutierte selbst das Kindergarten-Bauklötze-System zum Schaubild gesellschaftlicher Prozesse.

Im etwas in die Tage gekommenen schwarzen Nadelstreifenanzug und mit gepflegter Halbglatze rechnete er mit dem Gesundheitswesen ab, ließ dabei persönliche Beziehungen zu seinem Hausarzt Dr. Mabuse und dessen reizender, leicht in die Breite gegangenen Sprechstundenhilfe einfließen. Ob Impfstoffüberfluss gegen die Schweinegrippe oder die schwarz-gelbe Koalition um Kanzlerin Angela Merkel - vor ihm war nichts und niemand sicher an einem Abend, der das närrische Treiben der Karnevalisten restlos vergessen ließ.

Auf der politischen Bühne träfe man Narren unterschiedlichster Couleur ja doch zu Hauf. Arnulf Rating würzte seine Verbalattacken immer mit einer kleinen Portion Lokalkolorit, das kam an und schuf einen ganz innigen Kontakt zum Publikum. Über die hohen Vertreter aus Politik konnte man sich eben genauso gut amüsieren wie über das Treiben im Nachbarort. Da zeigte Arnulf Rating sogar geografische Kenntnisse, die seit seinen Studienzeiten in Münster wohl irgendwo tief verborgen geschlummert haben.

Der Begriff „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ bekam bei ihm eine ganz neue Bedeutung, hatte es ihm sowieso ganz besonders angetan als Zeichen für den Irrsinn des Aktionismus. Hier wurde Politkabarett verständlich, aber nicht platt. Intelligent und sprachlich kreativ, aber nicht intellektuell kopflastig, präsentierte Arnulf Rating seine Sicht der Dinge.

Die großen Rücktritte, als die drei großen K´s jedem bekannt, hießen bei ihm Käßmann, Köhler, Kachelmann. Die Fehltritte in der katholischen Kirche, die phlegmatisch-desinteressierte Haltung der Deutschen angesichts zig Milliarden schwerer Bankenhilfen oder die immer gleichen Visagen auf Vernissagen samt guckenden Damen mit Gucci-Täschchen, für all dies hatte er das passende Geschichtchen parat. So wurde man von einem Meister gar köstlich unterhalten, durfte nachdenken und erlebte einen inspirierenden Abend.

VON AXEL ENGELS © IVZ online, 04.03.2011