Unverändert spitzzüngig: Der Kabarettist Arnulf Rating mit neuem Programm im Lutterbeker

Blenden, ätzen, liebedienern

Lutterbek — Was ist das nur für eine Welt in der sich „Porsche nicht mal mehr einen VW leisten“ kann und „die Chinesen uns die Kühe leertrinken“? Kabarettist Arnulf Rating kann darüber in seinem brandneuem Programm Aufwärts, das im sehr gut besuchten Lutterbeker Vorpremiere feierte, so Einiges erzählen.


Bringt sein Publikum zum Lachen und zum Mitdenken: Kabarettist Arnulf Rating. (Foto: Bevis)

Rating ist von Beginn an voll da. Famos, wie viel Zug bereits im gewohnt atemlosen Bühnenspiel voller rhethorischer Kniffe und guerillerataktischer Perspektivwechsel steckt. Drei Figuren sind es, die regelmäßig in den Ex-„Torpedo“ fahren: der polarisierende, ätzende und bisweilen außerordentlich zynische die Volks- und Weltenseele sezierende Kabarettist, der PR-geschulte Schönschwätzer und Blender, der uns von Geburt an von „Die Milch macht's“ bis „Geiz ist geil“ ans System angepasst hat, und schließlich der gelassen-resignierte Freund, der zu uns ganz vertraulich auf Augenhöhe zu reden scheint. Das Perfide daran: Alle drei verstehen es, engmaschige Logiknetze aus sicher verzahnten Kausalsträngen zu knüpfen. Was es dem Zuhörer nicht leichter macht. Soll es auch nicht.

Rating bietet kein Antworten- sondern Anforderungskabarett. Wem kann man trauen in einer twitterschnellen Internet-Vollinformationswelt, in der korrupte Politiker Papiere „Gegen die Gier von Managern“ verfassen, unser Wirtschaftsminister „Gesetze zur Kontrolle von Banken“ von einer Bank-nahen Kanzlei verfassen lässt, und wo wider „tonnenweise Zeitungsartikel, kiloweise Bücher, hunderttausend Meter Fernsehdebatten, Spezialgesetze, Rasterfahndung“ jetzt erst ans Licht kommt, dass im Fall des 1977 ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback die falschen Leute einsaßen, während den Tätern nicht einmal der Prozess gemacht wurde?

Rating bietet verschiedene Perspektiven auf die Weltbefindlichkeitslandkarte mit ihren Brandherden Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, Fünf-Parteien-Staat, marodes Gesundheitssystem und demokratiegeschützte turbokapitalistische Ausbeutungssysteme. Die Frage „Sind wir eine aufgeklärte Informationsgesellschaft oder eine abgeklärte Desinformationsgesellschaft“ muss jeder selbst beantworten.

So bleibt dem Einen das Lachen im Halse stecken, wo sich der Andere vergnügt auf die Schenkel schlägt. Eine Stärke, die Arnulf Rating nach wie vor zu einem der wichtigsten und schärfsten Zungen des zeitgenössischen Politkabaretts macht: auf den Schlussakkord im Kopf der Zuschauer verzichten, die Verantwortung dahin bringen, wo sie hingehört. Zum mündigen Bürger, dem er immerhin folgendes Fazit-Angebot unterbreitet: „Die Tröge bleiben die gleichen, nur die Schweine wechseln.“ Dafür drei Vorhänge und mächtig Applaus.

© Kieler Nachrichten, 21.09.2009