Kabarett hart an der Grenze

Arnulf Rating gibt sich boshaft in seinem neuen Programm "Alles prima"

Bad Vilbel · 17. März · Arnulf Rating hält die Titelseite der Bild-Zeitung mit der Überschrift aus nur vier Buchstaben hoch. "Sieg", steht da so groß geschrieben, dass die Lettern bald eine halbe Seite füllen. Die fette Überschrift galt dem vermeintlichen Erfolg der US-Truppen im Irak.

"Das war ja wirklich ein großer Sieg", sagt der Kabarettist und nickt anerkennend mit dem Kopf. "Für die amerikanische Industrie", fügt er nach einer ganz kurzen Weile hinzu.

Pointen in hohem Tempo

Das ist eines der Prinzipien, nach denen Arnulf Ratings Kabarett funktioniert: Er stellt Zusammenhänge dar, die überraschen - und das rasend schnell. Die Zuschauer, die an diesem Abend sein aktuelles Programm "alles prima" erleben, müssen konzentriert bei der Sache bleiben, wollen sie jede der Pointen verstehen.

Manchmal geht der Mann mit der Clownsfrisur - mittellanges blondes Haar hängt wirr um die polierte Glatze - hart an die Grenzen seines Publikums. Als Rating etwa zum Amoklauf eines Schülers in Erfurt sagt, damit sei ein gutes Stück amerikanischer Kultur "hier zu uns nach Deutschland rübergeschwappt", wird es sehr still im Publikum. Nur wenige lachen.

Das ist auch so, wenn er die Hilfe und Spenden der Deutschen für die Tsunami-Opfer mit dem Sex-Tourismus in den betroffenen Gebieten in Zusammenhang bringt. "Naja, das ist ja auch ganz gut, wenn man für die Kinder, die bei der Flut ihre Eltern verloren hat, kleine Hütten baut", sagt er und fügt süffisant hinzu: "Sie müssen ja irgendwo ihrer Arbeit nachgehen." So ist das oft bei Rating: Er spricht aus, was viele wohl lieber unausgesprochen lassen würden.

Aber Rating kann auch anders: weniger böse und viel massentauglicher. Zum Beispiel dann, wenn er von seinen Erfahrungen berichtet, die er als Unternehmer mit seiner Ich-AG so gesammelt hat: "Ich bin mein Chef und einziger Mitarbeiter, da gibt es manchmal harte Tarifauseinanderstzungen, das können Sie sich wohl vorstellen", sagt er. Das wird sein Running-Gag: im Verlauf des restlichen Abends spielt der Kabarettist abwechselnd den Chef, der seinen Mitarbeiter auf Leistung trimmen will, und den Mitarbeiter, der eher widerwillig zum Thema Leistung steht, dafür aber sehr engagiert und ausdauernd auf Kölscher Platt wettern kann.

Schlimm genug, dass die beiden ständig streiten. Sogar in der Pause, wie Rating seinem Publikum erzählt. Das Schlimmste aber sei: "Ich muss auch noch jeden Abend mit meinem Chef ins Bett gehen." Das gefällt dem Publikum: das Lachen hält lange an.

Die unbeschwerten Lacher beherrscht Rating also auch - nur mag er die wohl nicht so gern. Nur kurz gönnt er sie dem Publikum, dann wechselt er wieder zielsicher ins Sarkastische und bisweilen Schmerzhafte. Das findet er auch in der Tagespolitik und im Alltag, sie sind bei ihm voll von Absurditäten.

Absurdes im Alltäglichen

Absurdes zeigt Rating in seinen gespielten Dialogen mit Taxifahrern oder in seinen Vorschlägen zum deutschen Steuersystem, die er natürlich in jahrelange Vorbereitung hart erarbeitetet hat. So plant er die Einführung einer Schwafelsteuer inklusive der Einrichtung von Landesschwafelsteuererfassungsstellen. Oder er findet es in den Schlagzeilen der Bild-Titelseiten, die er giftig kommentiert. Sie sind dafür ja auch wie gemacht. Oder was soll man sonst machen mit solchen Schlagzeilen: "Schulden! Nicht mal der Busen ist bezahlt!".

Matthias Schlette

© Frankfurter Rundschau, 19.03.2005